Frankreich (23. Januar 2023). Es passiert nicht alle Tage, dass ein kurzes Filmchen vom französischen Staat „gecancelt“ und im Fernsehen zensiert wird. War es gewaltverherrlichend, obszön oder diskriminierend?
Im Gegenteil. Das Video, von einer karitativen Organisation für Menschen mit Down-Syndrom produziert, beginnt mit der E-Mail einer schwangeren Mutter: „Ich erwarte ein Baby. Doch ich habe erfahren, daß es Downsyndrom hat. Ich habe Angst. Was für ein Leben wird mein Kind haben?“ Die Frau bekommt eine Antwort per Video, in dem 18 Menschen mit Down-Syndrom auf die Sorgen der Mutter reagieren. Mal strahlend, mal nachdenklich, immer anrührend, antworten sie der Mutter: „Liebe zukünftige Mama, hab´ keine Angst. Dein Kind wird dich umarmen und zur Schule gehen können. Dein Kind wird schreiben lernen und es wird Dir schreiben können. Irgendwann wird Dein Kind arbeiten und Geld verdienen. Und mit dem Geld kann es Dich ins Restaurant einladen.“
Nicht viele Clips schaffen es, in weniger als zweieinhalb Minuten mit Stereotypen aufzuräumen und gleichzeitig zu Tränen zu rühren. Und das, ohne kitschig zu werden. Die Kernbotschaft: Kinder und Menschen mit Trisomie 21 können ein erfülltes, glückliches und bedeutsames Leben führen. So weit, so herzerwärmend. Und wenn der französische Staat sich nicht eingemischt hätte, wäre es dabei geblieben.
Video : https://youtu.be/Ju-q4OnBtNU
Zensur und Verbot
Das Hoffnung machende Video wurde von der Jérôme-Lejeune-Stiftung in Frankreich verbreitet. Die Stiftung setzt seit Jahren die Standards in Wissenschaft, Forschung und Pflege zum Downsyndrom. Auf die Initiative der Stiftung lief das Video als „Nachricht von allgemeinem Interesse“ auf verschiedenen Fernsehsendern. Doch dann kam der französische Staat dazwischen. Eine staatliche Medienaufsichtsbehörde („Verwaltungssenat für Rundfunk“) verbot die Ausstrahlung des Videos.
Mit der lapidaren Begründung, der Inhalt sei nicht von „allgemeinem Interesse“, zensierte der Verwaltungssenat die hoffnungsvolle Botschaft. Durch die Entscheidung der Behörde wurde die Stiftung dann daran gehindert, das Video weiter zu verbreiten. Das löste eine Kontroverse aus. Kurz davor war der Kurzfilm bei den Internationalen Festspielen der Kreativität in Cannes noch mit sechs Löwen ausgezeichnet worden. Eine breite Allianz von Menschenrechtsexperten, Sprecher für Behindertenrechte und viele Engagierte mit Down-Syndrom baten daraufhin den Verwaltungssenat, das Verbot zurückzunehmen. Doch nichts geschah.
Das Video passt den französischen Bürokraten nicht ins Konzept Lächelnde Menschen, die zur Entscheidung für das Kind ermutigen. Das Paradebeispiel für Lebensschutz paßt einigen französischen Bürokraten nicht ins Konzept. Der Verwaltungssenat begründete die Zensur des Videos damit, daß das Video Frauen verstören könnte, die ihre behinderten Kinder abgetrieben hatten. In Frankreich werden 96% aller Kinder mit DownSyndrom abgetrieben. Erst vor kurzem hat Präsident Emmanuel Macron seine Ansicht bekräftigt, es gebe ein Recht auf Abtreibung statt einem Recht auf Leben.
Pränatale Diskriminierung
Die pränatale Diskriminierung von Kindern mit Down-Syndrom ist dramatisch. In Deutschland erblicken 9 von 10 Kindern mit der Diagnose Trisomie 21 nicht das Licht der Welt. Dort wird jetzt die sogenannte nicht-invasive Pränataldiagnostik zum medizinischen Standard, der von der Krankenkasse bezahlt wird. Eugenik wird wieder zu einer Realität in Deutschland. Deswegen brauchen alle Eltern Menschen, die Ihnen Mut zusprechen; und das ganz besonders, wenn medizinisch fragwürdige Tests Unruhe und Angst verbreiten. Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass die Abtreibungslobby auch Abtreibungen zu einer normalen medizinischen Dienstleistung machen möchte, von jedem Krankenkassenbeitragszahler mitfinanziert und vom Staat gefördert.
Vor Gericht für Gleichberechtigung und gegen Zensur
Die Jérôme-Lejeune-Stiftung läßt sich nicht einschüchtern und forscht weiter nach Wegen, Menschen mit Trisomie 21 zu helfen und ihre Rechte zu verteidigen. Nachdem ihr Mutmacher-Video zensiert worden war, zog die Stiftung in Frankreich vor Gericht. Doch im November 2016 wies der französische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde ab. Deswegen bringt die Jérôme-Lejeune-Stiftung den Fall nun mit der Unterstützung durch die Menschenrechtsorganisation ADF International vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Der belgische Jurist Jean-Paul Van De Walle ist bei ADF International für den Fall verantwortlich. Über die Zensur des kurzen Videos ist er entsetzt: „Warum zensiert man Menschen, die über ihr Leben mit einer Behinderung sprechen?“ „Wir sind nicht anders als Ihr.“ Denn Selektion und zahlreiche Stigmata machen das Leben von Menschen mit Down-Syndrom ohnehin schon schwer. Über das Leben von und mit Menschen mit Down-Syndrom existieren zahlreiche Missverständnisse – und das ist nur eine von zahlreichen Auswirkungen der langjährigen Diskriminierung. Viel zu wenige Menschen haben tatsächlichen Kontakt zu Kindern und Erwachsenen mit Trisomie 21. Darum haben Behörden wie der Verwaltungssenat die Pflicht, gegen die Stigmatisierung von behinderten Menschen vorzugehen und nicht noch dazu beizutragen.
So wie Robin Sevette, ein Schauspieler mit Down-Syndrom, sagt: „Egal wer das Kind ist, die Mutter kann glücklich sein! Ich bitte alle, Menschen wie mich zu akzeptieren, denn wir sind nicht anders als Ihr.“ Jeder hat ein Recht auf Leben. Genauso hat auch ein Jeder das Recht, seine Stimme zu erheben, besonders für Menschen, die oft entrechtet und übersehen werden. Hören wir also auf diejenigen, die Mut machen, Hoffnung verbreiten und dem Leben eine Chance geben wollen.
Quelle: Zeitschrift LEBE. Bewegung für das Leben Südtirol
Ausgabe Oktober 2022
Verfasser: Ludwig Brühl
Bildquelle: YouTube